Roger ist ein langjähriges Mitglied der POWERLAB Community. Selber passionierter Marathonläufer, zeitweise Triathlet und hat einen eigenen Laufevent ins Leben gerufen. Wie das alles mit Streckenvermessung und Fussball zusammenhängt, erzählt er uns im Interview.
PL: Hallo Roger, toll dass Du Zeit für ein Interview hast. Wir kennen uns ja, doch wer bist Du?
Roger: Ich bin ein sportbegeisterter Mathematiker, der im Alter von 11 Jahren den Laufsport und später den Ausdauersport ganz allgemein für sich entdeckt hat. Dem Laufsport bin ich mittlerweile seit 37 Jahren treu. Rund um meine Steckenpferde Sport und Mathematik sind im Verlaufe dieser Jahre zahlreiche Projekte entstanden: der Neujahrsmarathon Zürich, Lauf- und Schwimmzeitberechnungen, Teamchef der mehrfach siegreichen Brownschen Spaziergänger bei der SOLA Stafette, Lauf-Trainingsleiter im ASVZ (Akademischer Sportverband Zürich), Qualifikation & Teilnahme an der Ironman 70.3-WM in Clearwater/Florida, Fussball-Wahrscheinlichkeitsberechnungen für In- und ausländische Medien, bis hin zur Entwicklung eines Risikomanagement-Tools für Trainer im Profifussball. Und das schönste und wichtigste «Projekt» ist natürlich meine Familie mit meinen drei Frauen (Ehefrau + 2 Töchter).
Roger: Ich bin jemand, der gerne eigene Ideen entwickelt und umsetzt – idealerweise gemeinsam mit anderen Leuten, die sich für diese Ideen begeistern lassen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Neujahrsmarathon Zürich, den ich initiiert hatte, um die Schweizer Laufszene um einen einzigartigen Anlass zu erweitern. Einzigartig ist der Neujahrsmarathon deshalb, weil er exakt zum Jahreswechsel startet und die Siegerinnen und Sieger so automatisch eine von World Athletics anerkannte Jahresweltbestzeit laufen. Hinzu kommt das eindrückliche Erlebnis, unter dem Feuerwerkshimmel gemeinsam mit Gleichgesinnten ins neue Jahr zu laufen.
Dass die Startzeit beim Neujahrsmarathon so festgesetzt ist, damit dieser Event weltweit der erste Marathon des Jahres ist, ist kein Zufall: Als Mathematiker, der sich im Beruf mit Extremereignissen (grosse Schadenereignisse für Versicherungen) beschäftigt, ist es naheliegend, dass ein von mir initiierter Lauf einzigartig resp. in einem gewissen Sinne optimiert sein sollte.
Das verbindende Element meiner Projekte ist die Kombination von Mathematik und Sport. Und der Spass soll natürlich auch nicht zu kurz kommen.
PL: Du bist neben Deinem Beruf auch Streckenvermesser, erzähl uns wie es dazu kam?
Roger: Damit die beim Neujahrsmarathon gelaufenen Zeiten internationale Gültigkeit haben, muss die Strecke offiziell vermessen sein. Als wir den Neujahrsmarathon zum ersten Mal durchführten, gab es in der Schweiz noch keinen internationalen Streckenvermesser. Eine Möglichkeit wäre gewesen, einen ausländischen Vermesser einfliegen zu lassen. Gleichzeitig stiess ich jedoch auf das internationale Reglement für Streckenvermessungen und las dieses aus Neugier durch. Als Mathematiker, der seinen Militärdienst als Vermesser in der Artillerie geleistet hatte, sah ich keine grosse Schwierigkeit darin, eine solche Streckenvermessung gleich selbst durchzuführen; für mich klangen alle Vorgaben intuitiv logisch. So absolvierte ich die notwendigen Streckenvermesser-Prüfungen und komme seither zum Zuge, wenn in der Schweiz eine Laufstrecke international zu vermessen ist. Auch bei den Europameisterschaften 2014 in Zürich und 2022 in München, sowie beim Halbmarathon-Weltrekord 2021 in Lissabon war ich als Streckenvermesser im Einsatz. Die Krönung wäre, einmal einen Olympia-Marathon vermessen zu dürfen. Das ist in der Vermesserszene vergleichbar, wie wenn man als Schiedsrichter den Fussball-WM-Final leiten darf.
PL: Was viele vielleicht nicht wissen, Du bist u. a. auch gern zitierte Quelle der Schweizer Medien im Kontext Fussball und WM, wie kam es dazu?
Roger: Als 16-Jähriger gewann ich bei einem Wettbewerb einen Computer; zu jener Zeit war es noch nicht üblich, einen Computer zu besitzen und das Internet war auch noch nicht in aller Munde. Auf dem gewonnenen Atari-Computer war jedoch eine Programmiersprache installiert, die ich mir im Selbststudium beibrachte. Ich begann, Spiele zu entwickeln und im Kollegenkreis zu verteilen. Parallel stellte ich auch schon erste Wahrscheinlichkeitsberechnungen im Fussball an; zunächst für einzelne Spiele, später für ganze Meisterschaften. Aufgrund meiner damaligen Website, auf der ich diese Berechnungen präsentierte, wurden verschiedene Medien auf mich und meine Berechnungen aufmerksam. Insbesondere bei Welt- und Europameisterschaften wurde ich so zum «Hausmathematiker» für verschiedene Zeitungen und wurde auch immer mal wieder als Gast zu Radio- und Fernsehsendungen eingeladen.
PL: Du bist in der Laufszene bekannt dafür, die genausten Laufzeitberechnungen, egal auf welcher Strecke und egal für welchen Läufer zu machen? Wie geht das?
Roger: Schaut man sich die Bestzeiten einer Läuferin oder eines Läufers für verschiedene Distanzen an, so ergibt sich immer dasselbe Muster: Der prozentuale Leistungsabfall (gemessen als Zeit pro Kilometer) ist gleich gross, wenn man die Streckendistanz um den gleichen Faktor verlängert, also z.B. von 1 auf 2 km, oder von 5 auf 10 km, etc. Die Höhenmeter lassen sich zudem auf einfache Art und Weise in Zusatzmeter (Höhenmeter hoch) resp. Verkürzung der Strecke (Höhenmeter runter) umrechnen. Kombiniert man dies alles, so kann man den Grundspeed eines Läufers, seine Ermüdung, sowie die Schnelligkeit berghoch und runter aus vergangenen Laufwettkämpfen schätzen und so z.B. die ideale Pace für einen Marathon dieser Person bestimmen. Mir selbst ist es dank einer solchen Berechnung gelungen, einen 2:46er Marathon zu laufen (beide Hälften in 1:23), wobei ich vom ersten Kilometer an die richtige Pace anschlagen hatte und diese bis zur Ziellinie durchziehen konnte. Die 2:46 waren definitiv das Maximum, was in jenem Rennen möglich war, und ohne mein eigenes Berechnungstool hätte ich dieses Potential nicht ausschöpfen können.
PL: Welches ist Dein schönstes Lauf- oder Wettkampf-Erlebnis? Erzähle uns davon?
Roger: Das Erzielen der Marathon-Bestzeit war sehr schön. Noch eindrücklicher war jedoch die Ironman 70.3-Europameisterschaft in Wiesbaden; einerseits, weil ich den abschliessenden Halbmarathon in einer für mich stolzen 1:25er Zeit laufen konnte, andererseits aber vor allem deshalb, weil sich sowohl meine Frau Nicole als auch ich mit unserer Leistung für die WM in Clearwater qualifizieren konnten. Das unvergesslichste Lauferlebnis nahm ich jedoch aus Südafrika mit: Meine Frau und ich nahmen dort als Team an der Erstaustragung eines 4-tägigen Laufabenteuers quer durch üblicherweise nicht zugängliche Naturschutzgebiete teil. Zwischen den Etappen übernachtete man auf einem Campingplatz und sass mit den anderen Läuferinnen und Läufern zusammen. Wir waren praktisch die einzigen Exoten unter lauter südafrikanischen Teilnehmern, waren aber von Anfang an voll integriert in diese sportliche südafrikanische Gemeinschaft. Die Natur und die Begegnung mit den südafrikanischen Leuten sind bis heute unvergessen, auch wenn’s schon wieder über ein Jahrzehnt her ist.
PL: Hast Du einen unfullfilled Dream oder Projekt und würdest Du uns davon erzählen?
Roger: Ein Projekt gibt es da tatsächlich. Ob es realisierbar ist, weiss ich heute selbst noch nicht: Spätestens seit Eliud Kipchoges Sub-2-Stunden-Marathon ist wohl vielen Leuten bewusst, dass es geeignetere und weniger geeignete Laufstrecken gibt, um schnelle Zeiten zu laufen. Für Weltrekorde ist z.B. reglementiert, wie viel höher der Start im Vergleich zum Ziel liegen darf (42 Höhenmeter) und dass der Start und das Ziel in Luftdistanz nicht mehr als 21.1 km auseinander liegen dürfen. Hingegen gibt es im Gegensatz zu Sprints auf der Tartanbahn keine Vorgaben, wie stark der Rückenwind sein darf. Um eine möglichst schnelle Marathonstrecke anbieten zu können, wäre es meines Erachtens sinnvoll, auch diesen Aspekt zu berücksichtigen. Ich bin überzeugt, irgendwo auf dieser Welt (eventuell gar in der Schweiz) existiert eine mehr oder weniger flache Runde, die bei starkem Wind zur Hälfte windgeschützt ist (beispielsweise indem sie durch einen Wald führt, oder entlang eines windgeschützten Damms) und zur anderen Hälfte vom Rückenwind profitiert. Gerne würde ich auf einer solchen Strecke einen «Rückenwind-Marathon» anbieten. Ich bin überzeugt, nicht nur Kipchoge könnte auf diese Weise die Marathonstrecke unter 2 Stunden laufen. Falls jemand einen Tipp hat, wo sich eine solche Strecke finden lässt, darf man mich gerne kontaktieren.
PL: Danke für das Gespräch.